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VINCENT SCHEERS

(*1990 in Duffel, Belgien)

I N V O L V I E R T

Vincent Scheers spielt in seinen medienübergreifenden Objekt-Assemblagen, seinen Raum-Installationen, aber auch seinen Zeichnungen, Gemälden oder Multiples mit Wiederholung, Ähnlichkeit und Assimilation. Als Stilmittel dienen sie dem Künstler dazu, Irritationen zu sähen und Distanz zu alltäglichen Seh- und Wahrnehmungszusammenhängen aufzubauen. Dabei stellt Scheers äußerst erzählerische Bedeutungszusammenhänge her, um die gemeine Logik zugleich zu unterlaufen. Aus eben jener Differenz bildet er seine ästhetischen und poetischen Aussagen.

Auf den ersten Blick scheint der künstlerische Gestus seiner malerisch-tastenden, bisweilen fluiden und assoziativen Welten der gemalten Bilder kaum mit seinen Objekt-Assemblagen und Installationen verbunden. Hier haben sich klassische Motive (ihr Bild und ihre Bedeutung) in Bewegung versetzt und dabei de-stabilsiert. Als abstrakte, zum Teil metaphorische Einheiten sind sie Teil einer größeren Dynamik geworden, die den Bildzusammenhang ergriffen hat und für sich zu stehen scheint. Zugleich scheint damit einer eher sphärischen, spielerischen Bewegungsenergie Ausdruck verliehen.

Doch just jene einerseits de-stabilisierende und andererseits konstituierende Dynamik, die ihrerseits die festen, semantischen Zusammenhänge aus den Angeln hebt, verbinden Scheers malerische mit seiner bildhauerischen Praxis.

Auf analytischer Ebene können die meist aus zwei oder mehr Elementen zusammengesetzten Plastiken des Künstlers als Hybride gelesen werden, da sie von der Dynamik wechselseitiger Beziehung ergriffen sind. Durch die poetische Kombination heterogener Elemente entstehen neue mythopoetische Kreationen, die an die surrealistische Beschwörung höchster ‚Schönheit durch außergewöhnliche (Objekt-)Begegnungen‘ denken lassen. Bereits für die surrealistischen Assemblagen stand der erzählerische Spannungsreichtum außer Frage und ist auch in Vincent Scheers Arbeiten – die mal verwunderlich, bedrohlich oder auch humorvoll wirken ­– grundlegend. Diese Wirkung generiert sich insbesondere aus der metonymischen Kombination der einzelnen Objekte und/oder Situationen: während sie für sich genommen lexikalisch klar definiert und verständlich sind, ist ihr Status als Hybrid unsicher und wirft auf der Bedeutungsebene Fragen auf. Über diese Fragen, die auch als Bedeutungs-Lücke gelesen werden können, werden Interpretationen und Projektionen der BetrachterInnen aktiviert. Zusammenhänge werden gebildet, Assoziationen werden wach, Geschichten entspinnen sich.

Diese Geschichten könnten dem Genre von Sagen- bzw. Mythenerzählungen zugeschrieben werden, die von Übersinnlichem berichten. Denn Scheers Kunst greift durch ihre erzählerische Wirkkraft über die faktisch rationale Welt hinaus. Tatsächlich ähneln sie Mythenerzählungen auch dahingehend, dass auch sie über eine gewisse ‚Wunderlichkeit‘ hinaus eine soziale, ja moralisierende Aussage umfassen und als Metapher von individuellen wie gesellschaftlichen Ängsten oder Bedürfnissen sprechen.

So ergeben sich in seiner Kunst durch die pointierte und zugleich imaginationsstarke Inszenierung der ambivalenten Protagonisten seiner Werke immer wieder surreale, ja magisch-realistische Narrative, in dem Sicherheitsglas plötzlich eifersüchtig auf Wasser wird, es nachzuahmen versucht und dabei sogar bereit zu sein scheint, bis an seine eigene, existentielle (Selbst-) Zerstörung zu gehen (2020). In dem das Holz einer Axt einen Instinkt zur Selbstverteidigung ausbildet und den Holzhackenden mit Dornen attackiert (2020); – die Messerklinge zur Arena für das Aufeinandertreffen einer Biene und einer Wespe wird – wobei die scharfe Klinge und die giftigen Stachel der Insekten eine schaurige Klimax erzeugen (2020); – die (gemeinsame) Erfahrung von Kunst in Ausstellungen zugleich die Auslieferung des eigenen Körpers an hungrige Moskitos fordert und dabei ein invasives, ja „erleidendes“  Wahrnehmungsverständnis zitiert, das bleibt (2017); oder, in dem die Enge eines Bootes im Kellerraum eines Off-Spaces in Antwerpen zur synästhetischen Erfahrung von Bedrängnis wird (2019).

Schließlich wird im Prozess dieser Aushandlungen – inhaltlich wie strukturell – ein grundlegender Faktor Vincent Scheers Arbeiten deutlich: Der Künstler spielt mit „Risiko“. Doch wer ist von Risiko bedroht? Wo herrscht eine risikobehaftete Situation und wie manifestiert sie sich?

Zum einen sind die Bedeutungen der einzelnen Objekte, wie dargelegt, durch ihre Konstellation zueinander und zum wahrnehmenden Subjekt von Veränderung betroffen. Sie gehen einerseits über sich hinaus, sind jedoch andererseits auch in ihrem Kern von diesem Kontakt erschüttert und verändern dabei ihre eigene Bedeutung (graduell). Teil des Kunstwerks zu sein geht für alle teilnehmenden Elemente mit einem gewissen Risiko, sich selbst zu verändern einher. Selbst die BetrachterInnen sind davon nicht ausgenommen. Denn Wahrnehmung kann durch nichts mehr ungeschehen gemacht werden. Sind die Objekte und Narrative durch das Auge erst einmal eingedrungen, hinterlassen sie dort einen bleibenden Eindruck.

Zum anderen evoziert die Kunst Vincent Scheers auf der narrativen Ebene Situationen von Unbehaglichkeit, die die BetrachterInnen oftmals auch körperlich involviert, Grusel, vielleicht Schauer evoziert und kollektive Ängste heraufbeschwört.

Während der Künstler in seinen jüngsten Arbeiten insbesondere die natürliche Sphäre mit der Zivilisatorischen, also menschlich Geprägten verschränkt, wodurch thematisch eine ganz konkrete Dichotomie aufgeworfen und verhandelt wird, kann darin eine konsequente Weiterentwicklung erkannt werden. Vincent Scheers Arbeiten spielen stets mit einem Weltbild jenseits logozentrischer Subjekte und Individualitätsgesellschaft. Stattdessen sind sie in einem fluiden Weltenverständnis, in dem alles durch unsichtbare Ströme miteinander in Verbindung steht, zu verstehen, das Ordnungen und Hierarchien befragt.

Viktoria Tiedeke

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